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“Wichtig ist: Just do it!”

Kaffee, Chia-Pudding, Mandelcroissant … sehr analog diskutiere ich im Rahmen unseres Frühstücksformat Bright&Early mit der Compliance Expertin und kommunikationsraum Netzwerkpartnerin Prof. Dr. Cordula Meckenstock über Chancen und Risken, Regelungswahn und Gestaltungsauftrag im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz.

  • Was sind im Zusammenhang mit AI aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen?

Entscheidend ist der Wille, sich dieses Themas in den Führungsetagen anzunehmen, die Entwicklung hinreichender Digital Literacy und eine gesunde und balancierte Wahrnehmung der Risiken und Chancen. Europa und Unternehmen sind aufgefordert zu gestalten und sich nicht als reine Nutzer zu verstehen bzw. Tatsachen als gegeben hinzunehmen.

  • Viele haben das Gefühl, dass zu viel geregelt wird und auch der Artifical Intelligence-Act ein Bürokratie-Stück ist, die Gestaltung dabei hintenansteht. Was ist wichtiger – regeln oder machen?

Beides ist gleich wichtig in der jeweils richtigen Dosierung und Reihenfolge. Nur regeln erstickt Innovation im Keim. Nur machen führt zu technischen Entwicklungen, die möglicherweise nicht zu unserem Menschenbild und Wertesystem passen. Entscheidend ist den Fortschritt zu antizipieren und zuzulassen und Regelungen vor allem nicht dann erst zu erlassen, wenn sie technisch schon wieder überholt sind. Ein Negativ-Beispiel ist die Datenschutzgrundverordnung, die beim Erlass schon wieder veraltet war.

  • Reguliert die EU zu viel und gerät Europa dadurch ins Hintertreffen?

Generell ist es eine Chance, EU-weit regulieren zu können. Das ist die Basis für uns als Werte- und Rechtsgemeinschaft mit sehr hohem Niveau an Menschenrechten, Wohlstand und Sicherheit. Das hohe Verbraucherschutzniveau, die große Planungssicherheit für Investoren und die einheitlich gute Qualität des Trinkwassers sind positive Beispiele. Was (zu Recht) als negativ wahrgenommen wird, ist m.E. der sehr langwierige Rechtssetzungsprozess, der zu komplizierten und verspäteten Kompromissen führt.  

  • Können Sie uns Beispiele aus der Praxis nennen? Wie kann ein Gestaltungsrahmen für Organisationen aussehen?

Wichtig: Just do it!

Sinnvoll ist es, von Prinzipien auszugehen, nach denen man mit Daten und künstlicher Intelligenz umgehen will – zum Beispiel in einer Charta für Digitale Ethik. Prinzipien könnten sein: Erklärbarkeit, Selbstverantwortung des Menschen, Transparenz etc. Dann gilt es, diese Prinzipien auf die Straße zu bringen, d.h. in der Organisation die Prozesse und Situationen zu identifizieren, in denen Unklarheit, Unsicherheit herrscht, und dafür einen konkreten  Handlungsmaßstab zu definieren. Zum Beispiel lassen sich aus den Prinzipien präzise Handlungsanweisungen ableiten für den Umgang mit Social Media, mit Algorithmen im Recruiting, bei Kreditvergaben und in der Gesichtserkennung über Kameras etc. Das Schöne an einer prinzipienbasierten Charta ist, dass neue Situationen nach diesen übergeordneten Prinzipien erfasst und bewertet werden können. Entwickelt wird das crossfunktional, also über Abteilungs- und Hierarchiegrenzen hinweg.

  • Wie schaut Ihrer Meinung nach das ideale crossfunktionale Team aus?

Möglichst bunt. Es ist wichtig, einen ganz breiten Blick auf das Thema zu bekommen, dass eben nicht (nur) Thema der IT ist. Es ist eine Mischung aus strategischem, ethischem, technischem, HR- und Kommunikations-Thema. Entsprechend vielfältig soll das crossfunktionale Team auch sein: Unterschiedlichen Kompetenzen und damit Perspektivenvielfalt für das Thema Künstliche Intelligenz. Das führt meiner Erfahrung nach zu ausgewogenen und auch akzeptierten Lösungen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Signalwirkung aus Deutschland

Kurz nach diesem Gespräch wurde übrigens das Koalitionspapier der neuen deutschen Regierung veröffentlicht und es enthält tatsächlich Hoffnung auf einen gestalterischen Zugang zu wichtigen netzpolitischen Themen. Zum Beispiel positioniert sich die Ampelkoalition klar:  

 „Biometrische Erkennung im öffentlichen Raum sowie automatisierte staatliche Scoring Systeme durch KI sind europarechtlich auszuschließen.“

Damit spricht sich die neue deutsche Ampelregierung für ein Verbot des Einsatzes von Gesichtserkennung durch Strafverfolgungsbehörden aus. Sie geht damit noch weiter als die EU-Kommission, die vorschlug, biometrische Erkennung zwar einzuschränken, aber zur Bekämpfung schwerer Verbrechen wie Terrorismus oder Kindesentführung zu erlauben. Dass Deutschland sich nun deutlich für ein Verbot positioniert, könnte Signalwirkung für andere europäische Staaten haben, die bislang noch nicht zum AI Act Stellung bezogen haben, argumentiert Politico. Österreich etwa verlangt, dass der Einsatz von Gesichtserkennungstechnologien auch für private Unternehmen eingeschränkt wird. Einigen sich die europäischen Staaten auf eine klare, gemeinsame Haltung gegen biometrische Überwachung und Social Scoring, könnte dies ein echter Meilenstein für die Wahrung der Grund- und Freiheitsrechte in Europa sein, so ADA.

Bettina Pepek für kommunikationsraum | Dezember 2021