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Der Gesang der Sirenen

Weghören ist keine Lösung. Zuhören stellt Bedingungen!

Ich mag es gleich zu Beginn eines Workshops oder Trainings die Teilnehmer*innen nach aus ihrer Sicht wirksamen Kommunikator*innen zu fragen: Wer überzeugt Sie? Was erregt deine Aufmerksamkeit? Wem hören Sie zu? Dieser Einstieg ermöglicht einen guten Blick auf Vorbilder, Wahrnehmungen und individuelle „Wirklichkeiten“ von anschlussfähiger Kommunikation.

Die Namen, die hier fallen, wiederholen sich regelmäßig – vorwiegend männlich, vorwiegend aus Medien und Politik. Sehr selten nur werden Frauen genannt – unabhängig von der Geschlechterverteilung im Raum. Sehr oft wird (nicht erst in den vergangenen Monaten) vor allem ein Name genannt: Donald Trump.

Der amerikanische Präsident als Synonym für „Redet wie ihm der Schnabel gewachsen ist“, „Greift auf, was die Leute bewegt“, „Kann jedem Sch… sagen, wird trotzdem wiedergegeben“ (…). Wie geht das? Wie kommt’s, dass jemand sich in diesem Ausmaß Gehör und Aufmerksamkeit verschaffen kann? Auch und gerade mit Themen, die vor allem Europa nicht gerne hört und solchen, die nachweislich oft schlichtweg falsch sind?

Auftritt Doris Kearns Goodwin, Pulitzerpreis-Trägerin und die wohl profundeste Kennerin amerikanischer Präsidenten-Biografien. In einem Interview mit der Financial Times unterstreicht sie, dass „the leader who masters his day’s medium wins“. Derjenige also, der das Medium seiner Zeit beherrscht, gewinnt. Abraham Lincoln’s Reden wurden in den Tageszeitungen gedruckt, Roosevelt nutzte das Radio zur Verbreitung seiner Botschaften und Kennedy, wie auch Reagan waren die Meister der Television. Dann kamen die Sozialen Medien und Donald Trump beherrscht sie – mittlerweile auch mit Hilfe der Big Tech Guys – meisterlich.

Es ist das Zeitalter der Attention-Economy, der Aufmerksamkeitsökonomie. Kein Tag, an dem wir hier in Europa nicht aufwachen, und uns denken: Welches Dekret wird heute unterschrieben? Welches Telefonat heute geführt? Oder wie es der deutsche Bundespräsident Frank Walter Steinmeier auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor wenigen Tagen sagte: „Seit dem 20. Januar starren alle gespannt aufs Weiße Haus und jeder fragt sich schon zu den Frühnachrichten: Was kommt als Nächstes oder wer ist als Nächster dran?“

Mehr weghören als zuhören?

Die modernen Sirenen heulen also nicht im Mittelmeer, sie versuchen uns u.a. aus Washington zu erreichen. Odysseus band sich an den Schiffsmasten und entging so dem sicheren Abgrund. Wie aber gelingt es uns dem „großen Rauschen“ und der „Spektakelpolarisierung“ wirksam etwas entgegenzusetzen?

Der deutsche Wissenschaftler Bernhard Pörksen bedient diese beiden Begriffe in seiner Analyse des laufenden deutschen Wahlkampfes. Es ginge nicht mehr um eine sinnvolle Debatte, um damit zu überzeugen, sondern um Debatten-Demontage, Verwirrung und „censorship trough noise“, Zensur durch allgegenwärtiges Rauschen.

Er plädiert in seinem aktuellen Buch einander (wirklich) zuzuhören, den Kontext von Gesprächspartner*innen wahrzunehmen, die Komplexität von Kommunikation zu akzeptieren. Wie gelingt geistige Offenheit? Wie erreicht man diejenigen, die man nicht mehr erreicht?

Die blinden Flecken klassischer Medien

Eine Frage, auf die vor allem auch die klassischen Medien eine Antwort finden müssen. Welche Rolle spielt Journalismus in einer Realität, die immer mehr von wenigen Menschen mit sehr viel Macht, sehr viel Geld und großer Verachtung für klassischen Journalismus bestimmt ist? Es sind Muster und Routinen wie beispielsweise die stete Orientierung am Konflikt und Drama, die Fetischierung eines rein zeitlichen Aktualitätsprinzips, die seriöse Medienmacher unbedingt überdenken müssen, so Bernhard Pörksen. Ich stimme ihm zu und schließe mich auch seiner Leitfrage an: „Welche blinden Flecken sind hier angelegt?“ Ein Mehr vom Narrativ der (wirtschaftlichen) Opfer reicht nicht, um der Zusammenballung aus digitaler, ökonomischer und politischer Macht wirksam Kontra zu geben. Remember: The leader who masters his day’s medium wins!

Wirksame Kommunikation stellt genau diese Bedingung: Sie in ihrer Komplexität zu begreifen und damit umzugehen. Das ist bzw. wird die entscheidende Kernkompetenz – in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.  Die Besinnung auf eben diese (humanen) Kernkompetenzen ist es, die uns in sichere Gewässer steuern lassen, denn anstatt sich wie Odysseus Wachs in die Ohren zu schmieren und an den Mast fesseln zu lassen, übertönte der Dichter und Sänger Orpheus mit seiner Leier den Sirenengesang und rettete damit sich und seiner Mannschaft das Leben.

Aber das ist wieder eine andere Geschichte …

Bettina Pepek für kommunikationsraum GmbH | Februar 2025

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